Hurrikan IRMA

Hurrikane, die tropischen Wirbelstürme des Atlantiks und des nordöstlichen Pazifiks, sind Tiefdrucksysteme mit geschlossener Zirkulation des Windes um das Druckminimum und organisierter Vertikalbewegung feucht-warmer Luftmassen, die mit schweren Regenfällen und Gewittern einhergeht. Dabei hält die frei werdende Kondensationswärme rund um das Zentrum die Systeme "am Leben". Infolge der Corioliskraft rotieren Hurrikane stets "zyklonal", d.h. auf der Nordhalbkugel entgegen dem Uhrzeiger. Die auf relativ kleinem Raum herrschenden großen Luftdruckunterschiede bewirken enorme Windgeschwindigkeiten.

Tropische Wirbelstürme im Allgemeinen entstehen - nomen est omen - über den tropischen, ggf. auch subtropischen Meeren. Nur dort gibt es genug latente Energie und hinreichend "glatte" Oberflächen. Denn eine hohe Bodenreibung würde den Ausgleich von Luftdruckgegensätzen fördern und damit das ?Auffüllen und Absterben? von Tiefdruckwirbeln beschleunigen. Weiterhin benötigen sie die Corioliskraft, ohne die bestehende Luftdruckunterschiede ebenfalls rasch ausgeglichen würden und sich Wirbel gar nicht erst formen könnten. Auch die vertikale Windscherung muss sich in Grenzen halten, um einen gerade entstandenen, jungen Wirbel nicht gleich zu zerreißen.

Folglich sind im Falle der Hurrikane die Zonen im Atlantik sowie im Ostpazifik zwischen etwa 5° und 30° nördlicher Breite, mit Wassertemperaturen (Sea Surface Temperature - SST) von mindestens 26 °C, als Ursprungsgebiete relevant. Die Bildung und weitere Existenz eines tropischen Wirbelsturmes ist energetisch betrachtet nichts anderes als der Ausgleich des Wärmeüberschusses, der sich in den unteren Atmosphärenschichten staut. Um diesen "Ausbruch von Energie" zu ermöglichen, muss großflächig Konvektion ausgelöst werden.

Dazu ist wiederum Luftdruckfall notwendig, den meistens die innertropische Konvergenzzone liefert. Sie bewirkt Wellenbildungen an der äquatorialen Seite der subtropischen Hochdruckgebiete. Diese "tropischen Wellen" (engl. Easterly Waves) sind ovale bis längliche, meridional orientierte Gebiete tieferen Luftdruckes, wandern aufgrund der Passatströmung nach Westen und sind sozusagen das erste Entwicklungsstadium tropischer Wirbelsturmsysteme. Die zum gerade entstehenden Tiefdruckzentrum strömenden Luftmassen werden von der Corioliskraft abgelenkt und rotieren um den Kern mit dem tiefsten Luftdruck. Sofern die o.g. Bedingungen weiterhin bestehen oder sich sogar verbessern, kann sich die tropische Zyklone intensivieren. Wenn sie schnell genug rotiert zeigt sich das legendäre "Auge des Wirbelsturmes", der zentrale, windschwache Bereich mit absinkender Luft und Bewölkungsauflösung.

Atlantische Hurrikane entstehen meist aus den oftmals bereits über Nordwest- bzw. Westafrika angeregten Easterly Waves an der Südflanke des Azorenhochs. Sie werden im Allgemeinen auch durch das Azorenhoch "gesteuert" und bewegen sich bei vollständigem Lebenszyklus ohne ?Landfall? idealerweise auf nach Osten geöffneten Parabeln. In ihrem jugendlichen Entwicklungsstadium ziehen Hurrikane mit etwa 10 Knoten (knapp 19 km/h) Verlagerungsgeschwindigkeit auf dem äquatorialen, also südlichen Ast der Parabel in westlicher bis nordwestlicher Richtung. Während des Reifestadiums im Scheitelbereich der Parabel liegt das steuernde Azorenhoch dann weit in östlicher Richtung und die Wirbel verlangsamen sich gewöhnlich auf etwa 5 Knoten. Hier erreichen sie ihre größte Intensität und schlagen gewöhnlich einen nördlichen Kurs ein, neigen aber u.U. zu abrupten Richtungsänderungen.

Der Lebenszyklus von Hurrikan IRMA begann in den Tagen um den 25. August 2017 als tropische Welle über Westafrika, die sich stetig intensivierte und am 30. August mit einer Position westlich der Kapverdischen Inseln vom amerikanischen National Hurricane Center (NHC in Miami, Florida) zum tropischen Sturm IRMA deklariert wurde. Innerhalb eines weiteren Tages verstärkte sich IRMA rapide vom schweren tropischen Sturm zum Hurrikan, dessen Intensität in den folgenden Tagen bei fortschreitender Bewegung in westlicher Richtung zwischen den Kategorien 2 und 3 auf der Saffir-Simpson-Skala schwankte. Damit ist IRMA ein klassischer Hurrikan vom "Kap-Verde-Typ". Vorgestern noch mit Kategorie 4 bewertet, erfüllt IRMA seit dem gestrigen 5. September die Kriterien für die höchste Hurrikan-Kategorie 5.

Heute früh um 06:00 Uhr UTC folgte der ?Kategorie-5-Hurrikan? IRMA mit 13 Knoten weiterhin einem Westnordwestkurs und hatte bei einer Position von 17,7° nördlicher Breite und 61,8° westlicher Länge einen Kerndruck von 914 hPa und mittlere Windgeschwindigkeiten von bis zu 160 Knoten (circa 295 km/h, "1-min-sustained-wind-speed" laut Definition des NHC). In Böen dürften es bis zu 195 Knoten (circa 360 km/h) gewesen sein. Damit ist IRMA bedeutend stärker als HARVEY (Kategorie 4) und der stärkste atlantische Hurrikan außerhalb des Golfs von Mexiko und des Karibischen Meeres seit Beginn der Aufzeichnungen.

Hurrikan IRMA gelangt nun allmählich in den Scheitelbereich seiner parabelförmigen Zugbahn, vermutlich nimmt er einen westnordwestlichen Kurs entlang der Küsten der Großen Antillen um voraussichtlich am Sonntag Florida anzusteuern. Bereits jetzt sind die nördlichen Inseln der Kleinen Antillen (engl. "Leeward Islands") von IRMAs Sturmfeld und sintflutartigen Regenfällen betroffen. Einen Überblick über die prognostizierte Zugrichtung und die Warnsituation in den betroffenen Gebieten, basierend auf dem Kenntnisstand von heute früh, 06:00 Uhr UTC, liefert die vom National Hurricane Center herausgegebene Graphik im unteren Teil der Abbildung.

Im oberen Teil der Abbildung finden Sie ein infrarotes Satellitenbild (GOES-E 10,8 µm) des Hurrikans IRMA vom Mittwoch, den 06.09.2017, 06:00 Uhr UTC. Ergänzt wurde die Aufnahme durch Berechnungen des Geopotentials der 500-hPa-Hauptdruckfläche (fette rote gestrichelte Linien) sowie der Windgeschwindigkeit (farbige Isotachen in Knoten, engl. [kt], 1 Knoten = 1,852 km/h) des ICON-Vorhersagemodells des Deutschen Wetterdienstes. Die Windpfeile signalisieren neben dem Betrag der Windgeschwindigkeit die zyklonale Rotation des Wirbels. Außerdem sind in den schwarzen Kästchen die
Meeresoberflächentemperaturen (SST) eingetragen. Man beachte die unterschiedlichen kartographischen Projektionen beider Darstellungen.

Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.09.2017

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst