Der Wind aus meteorologischer Sicht - ein Konstrukt verschiedener physikalischer Kräfte -Zweiter Teil: Die Kräfteverhältnisse-

Nachdem im gestrigen Thema des Tages die unterschiedlichen physikalischen Kräfte (Druckgradientkraft, Corioliskraft, Zentrifugalkraft), die auf Luftteilchen in der Erdatmosphäre einwirken, näher betrachtet wurden, wird nun der Wind aus meteorologischer Sicht unter die Lupe genommen.

Zunächst soll der Fokus dabei auf dem wohl wichtigsten "Wind" aus meteorologischer Sicht gelegt werden. Dabei handelt es sich um den sogenannten "geostrophischen Wind" der im Gleichgewicht zwischen Druckgradient- und Corioliskraft weht. Ein im Anfangszustand ruhendes Luftpaket wird dabei in einem vorhandenen (horizontalen) Druckfeld aufgrund der Druckgradientkraft (Fp) vom hohen zum tiefen Druck bewegt. Betrachtet man die Bewegungen und wirkenden Kräfte in einem mit der Erde rotierenden (erdfesten) Koordinatensystem wird das Luftpaket bereits mit der beginnenden Verlagerung aufgrund der ablenkenden Corioliskraft (Fc) auf der Nordhalbkugel nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links abgelenkt. Mit zunehmender Windgeschwindigkeit erhöht sich auch die Ablenkung durch die Corioliskraft (Fc), und zwar so lange, bis diese Kraft dem Betrag nach gleich der Druckgradientkraft (Fp), aber dieser entgegengesetzt gerichtet ist. Der geostrophische (griechisch: geo = Erde und strephein = drehen) Wind ist somit eine Luftströmung, die sich einstellt, wenn sich die Druckgradientkraft (Fp) und die Corioliskraft (Fc) ausbalancieren, d.h. sich ein Gleichgewicht zwischen den beiden Kräften eingestellt hat. Dieser idealisierte, in der Natur nicht vorkommende Wind weht parallel zu geradlinigen Isobaren/Isohypsen (Linien gleichen Luftdrucks/Geopotentials), wobei auf der Nordhalbkugel der tiefe Luftdruck in Strömungsrichtung links und der hohe rechts liegt (Südhalbkugel: umgekehrte Lage der Druckzentren) (vgl. http://bit.ly/2bpwgdI sowie Abbildung 1). In der Meteorologie wird näherungsweise der Wind oberhalb der Grenzschicht in etwa 2 km Höhe über Grund, wo die Reibung keinen Einfluss mehr besitzt, als geostropischer Wind angenommen.


Realitätsnäher ist jedoch der nun betrachtete Wind. Dieser weht im Gleichgewicht zwischen Druckgradient-, Coriolis- und zusätzlich der Zentrifugalkraft und wird als "Gradientwind" bezeichnet. Der Gradientwind weht dabei parallel zu den gekrümmten Isobaren und seine Stärke ist proportional zum Druckgradienten in Normalenrichtung. Damit ist er eine Erweiterung des geostrophischen Windes. Die Stärke des Gradientwindes ist abhängig von der ihm aufgezwungenen Bahn. Während bei zyklonalen Bewegungen (gegen den Uhrzeigersinn), beispielsweise um ein Tief herum, nun sowohl die Zentrifugalkraft als auch die Corioliskraft (vom Tief weg gerichtet) der Druckgradientkraft (zum Tief hin gerichtet) entgegenwirken, müssen bei antizyklonalen Bewegungen (mit dem Uhrzeigersinn), beispielsweise um ein Hochdruckgebiet herum, die Zentrifugalkraft und die Druckgradientkraft (zum Tief hin gerichtet) zusammen die Corioliskraft (vom Tief weg gerichtet) ausgleichen. Allgemein stellt der Gradientwind die beste Approximation des realen Windes dar (vgl. Abbildung 2).

Einen Sonderfall beschreibt der dritte betrachtete Wind, der im Gleichgewicht zwischen Druckgradient- und Zentrifugalkraft weht und als "zyklostrophischer Wind" bezeichnet wird (vgl. http://bit.ly/2b3jBMq sowie Abbildung 3). Anwendung findet der zyklostrophische Wind vor allem in Äquatornähe, da hier die Corioliskraft nur sehr gering ist. Auch bei kleinräumigen Strömungen mit stark gekrümmten Isobaren/Isohypsen (kleiner Krümmungsradius) und hoher Windgeschwindigkeit (z. B. Tornado) kann die Coriolisbeschleunigung gegenüber der Zentrifugalbeschleunigung vernachlässigt und zyklostrophische Winde vorübergehend auch in etwas höheren Breiten erreicht werden. Da die Zentrifugalbeschleunigung unabhängig von der Rotationsrichtung immer vom Drehzentrum aus nach außen gerichtet ist und die Druckgradientbeschleunigung kompensiert, können extrem kleinräumige "Tiefdruckzentren" (Tornados) theoretisch sowohl zyklonal als auch antizyklonal rotieren. Grundsätzlich werden in der Natur jedoch die zyklonalen Fälle weitaus häufiger beobachtet.


Zum Abschluss darf natürlich auch die Reibung in bodennahen Luftschichten nicht völlig unberücksichtigt bleiben. In der sogenannten "planetaren Grenzschicht" der Erdatmosphäre (untere 1,5 bis 2 km) wird der Wind durch die Bodenreibung gebremst. Dadurch weht er nicht mehr parallel zu den Isobaren, sondern eher in Richtung des tieferen Luftdrucks. Wird am Boden mehr Luft ins Tief geliefert, als in der höheren Atmosphäre ausströmen kann, füllt sich ein Tiefdruckgebiet mit der Zeit auf, was nichts anderes bedeutet, dass es sich bis zur völligen Auflösung kontinuierlich abschwächt.

Egal aus welchem Blickwinkel man den "Wind" betrachtet, er beschäftigt nicht nur Meteorologen. Viele physikalische Gesetze lassen sich auch in die Astronomie transferieren, die sich auch mit Winden auf Planeten und Monden mit einer hinreichend dichten Atmosphäre beschäftigt. Gleichermaßen können auch in der Wirtschaft detaillierte Kenntnisse über die physikalische Zusammensetzung des wehenden Windes interessant sein.

Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.08.2016

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst